Herr Dr. Greschner, Herr Timmann, Sie sind beide exzellente Kenner der Branche. Wo sehen Sie den ÖPNV in zehn Jahren?
Jürgen Greschner: Wenn es gelingt, den aktuellen Mangel an personellen und finanziellen Ressourcen zu lösen, dann steht einem Wachstum des ÖPNV nichts im Weg. Alle Megatrends sprechen dafür: Bedingt durch die demografische Entwicklung benötigen immer mehr Menschen bessere Unterstützung, um Wege zurückzulegen. Der Bedarfsverkehr wird sicherlich ausgeweitet werden, um wie in den USA Menschen mit Einschränkungen oder abseits der Ballungszentren Mobilität zu ermöglichen, wahrscheinlich auch unterstützt durch autonom fahrende Fahrzeuge. Nach meiner Wahrnehmung werden sich die Verkehrsbetriebe der Zukunft noch weiter zu Mobilitätsexperten ihrer Region entwickeln, die nicht nur das klassische ÖPNV-Angebot und vielleicht On-Demand-Services anbieten, sondern darüber hinaus auch weitere Mobilitätsangebote auf einer Plattform zur Verfügung stellen, wie etwa Leihfahrräder, Mietwägen und Scooter. Dadurch wird es dann ein lückenloses Mobilitätsangebot geben, das auch die ländlichen Gebiete besser mit den Stadtzentren verbindet. In einigen Städten und Regionen wie etwa in Wien ist das heute schon weit ausgebaut und nicht zuletzt auch bei uns hier in Karlsruhe mit der regiomove-App, die wir gemeinsam mit den Verkehrsbetrieben weiterentwickeln.
Martin Timmann: Die Verkehrsunternehmen sind diejenigen, die über das größte Know-how darüber verfügen, welcher Bedarf an Mobilität besteht und wie sich dieser am besten organisieren lässt. Sie könnten künftig Mobilitätspakete an Unternehmen verkaufen, und zwar so konfektioniert, dass sie ein sinnvolles und attraktives Alternativangebot zum Dienstwagen darstellen. Zusätzlich zum ÖPNV sind weitere Mobilitätsangebote enthalten. Der Vorteil ist die große Flexibilität. Hierfür werden dann Mobilitätsplattformen benötigt, im Hintergrund aber auch Self-Service-Portale, einfache Abrechnungssysteme und ein Leitsystem, das die Anschlusssicherung zwischen On-Demand-Fahrten und klassischen ÖPNV-Angeboten ermöglicht. Also eine Vernetzung sich ergänzender Verkehrsmittel, die wirklich funktioniert. Damit wird es künftig die Aufgabe von Verkehrsunternehmen sein, komplementäre Mobilitätsangebote zu orchestrieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten Martin Fricke und Anette Auberle.