Nachfrageorientierte Planung des ÖPNV-Angebots

Mobile Data Fusion: Hochpräzise Ermittlung der Fahrgastnachfrage aus multiplen Datenquellen

Damit der ÖPNV seiner Rolle als Rückgrat nachhaltiger Mobilität gerecht werden kann, muss er auf Veränderungen im Mobilitätsverhalten und auf eine wachsende Nachfrage reagieren. Während Infrastrukturinvestitionen und Flottenerweiterungen eher langfristig wirken, gilt es der gestiegenen Nachfrage bereits in den nächsten Jahren durch eine Optimierung des Angebots innerhalb der bestehenden Verkehrsnetze Rechnung zu tragen. Um das ÖPNV-Angebot noch zielgerichteter planen zu können, braucht es dringend verbesserte Datengrundlagen. Diese Datengrundlagen zur Verfügung zu stellen hat sich das Forschungsprojekt Mobile Data Fusion zum Ziel gesetzt.

Zur genauen Ermittlung des Bedarfs sind quantitative Erhebungen mit automatischen Fahrgastzählsystemen (AFZS) oder Zählpersonal heute bereits die gängige Praxis. Der mit Mobile Data Fusion verfolgte Ansatz beruht auf der Idee, zusätzliche Daten für die Ermittlung der ÖPNVNachfrage zu nutzen. Dazu werden WLAN- und Bluetooth-Signale mobiler Endgeräte, Anfragen an die Verbindungsauskunft sowie die Mobilithek (früher mCloud), die frei verfügbare Datenbank des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, genutzt. Ziel des Projektes ist es, diese bereits vorhandenen Datenquellen erstmals zu fusionieren. Im Fokus stehen dabei insbesondere Informationen über Quelle-Ziel-Verflechtungen und Umsteigeströme. Des Weiteren werden zusätzliche Erkenntnisse hinsichtlich der Häufigkeit und Kontinuität der ÖPNV-Nutzung gewonnen.

Komplexe Analyse und Aufbereitung der Daten

Für die Datenfusion werden die Eingangsdaten in einer Big-Data-Pipeline erfasst, aufbereitet und analysiert (Abbildung), wobei sich der Begriff „Big Data“ im Projekt nicht auf die generierten Datenmengen bezieht, sondern auf die komplexe Analyse, Aufbereitung und Verwertung der Daten aus unterschiedlichen Quellen. Dabei geht es insbesondere um das Erkennen von statistischen Korrelationen, Mustern und Zusammenhängen hinsichtlich der Routenwahl von Nutzern innerhalb des ÖPNV-Netzes.


Das von der INIT entwickelte Back-End-System basiert auf einer Apache Kafka Dateninfrastruktur. Als quelloffene Software zum Übertragen und Speichern großer Datenströme agiert Apache Kafka als Datenbroker zwischen den Datenproduzenten (Eingangsdaten) und den Datenkonsumenten (IT-Partnersysteme). Apache Flink wird dabei zur Transformation von Datenströmen sowie zum Verknüpfen der Datenquellen eingesetzt. Apache Beam dient als einheitliche Programmierschnittstelle (API), um die Algorithmen in verschiedenen Prozessen einsetzen zu können. Ein großer Vorteil dieser eingesetzten Technologien ist die breite Skalierbarkeit sowie die Möglichkeit der Echtzeitbearbeitung, die es ermöglicht, einen kontinuierlichen Strom an Ereignissen in einem Verkehrsnetz zu analysieren und in Echtzeit Maßnahmen der Verkehrssteuerung zu ergreifen sowie beispielsweise künftig auch den Besetztgrad in der Fahrgastinformation zur Verfügung zu stellen.

COPILOTpc für die Erfassung der Bluetooth- und WLAN-Signale

Um die Bluetooth- und WLAN-Erfassung umzusetzen, wurden im Rahmen von Mobile Data Fusion verschiedene Hardwarelösungen entwickelt. In der ersten Projektphase wurde ein Prototyp im Netz des Nordhessischen Verkehrs Verbunds (NVV) eingesetzt und erprobt. Zur Validierung der Ergebnisse wurden parallel Fahrgastbefragungen durchgeführt. In der zweiten Entwicklungsphase wurde eine Erweiterung des COPILOTpc Bordrechners mit zusätzlichen Bluetooth- und WLAN-Modulen entwickelt. Bis 2024 ist das System in 21 Fahrzeugen des NVV im Produktivbetrieb im Einsatz – und zwar zum ersten Mal mit einem Linux-Betriebssystem.

Die aufgezeichneten Bluetooth- und WLANSignale im Fahrzeug werden im Backend mit den hinterlegten Fahrten aus MOBILEstatistics verknüpft sowie mit den AFZS-Daten fusioniert, um aggregierte Fahrgaststromdaten bereitzustellen. Das vom Projektpartner WVI entwickelte Verfahren zur Bestimmung der Quelle-Ziel-Matrizen wurde in die INIT Big-Data-Pipeline integriert, so dass Verkehrsstromdaten linienfahrtgenau und tagesaktuell dargestellt werden können.

Besonders hervorzuheben ist der Datenschutz-Ansatz, der in der gesamten Projektbearbeitung verankert ist. Die WLAN-MAC-Adressen und Bluetooth-IDs werden vor der Speicherung durch eine Hashfunktion unumkehrbar kodiert und somit anonymisiert, die Originaldaten werden dabei sofort gelöscht und nicht gespeichert. Fahrgäste, die nicht erfasst werden möchten, können ihre Geräte mithilfe einer Blacklist-Funktion ausschließen.

Die genaue Kenntnis von Fahrgastströmen wird Verkehrsunternehmen künftig dabei helfen, ihr Angebot noch besser auf die Nachfrage abzustimmen – und zwar ohne massiven zusätzlichen Invest in die bestehenden Verkehrsnetze. INIT leistet dazu einen entscheidenden Beitrag.

Mobile Data Fusion wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert. An dem Projektkonsortium unter der Federführung von WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH, Braunschweig, beteiligt sich neben der INIT, der Blic Beratungsgesellschaft für Leit-, Informations- und Computertechnik mbH, der Universität Kassel, Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme (VPVS), auch der Nordhessische Verkehrs Verbund (NVV), der im Rahmen des Projektes über 40 Fahrzeuge zur Erprobung einsetzt.

Kontakt

Dr. Roxana Hess

Product Manager MaaS
Team Manager Research
INIT GmbH
Deutschland